Po-Delta
Kaum hatten wir den Stellplatz im Delta des italienischen Flusses Po erreicht, empfing uns das Wetter mit einem ausgewachsenen Sturm und Regen, welches stundenlang und bis tief in die Nacht anhielt. Deshalb mussten wir unseren gerade begonnenen Rundgang durch den Fischereihafen von Goro-Gorino, dem wir einen Besuch des gleichnamigen Ortes anschließen wollten, schnell wieder beenden.
Wir stehen direkt zwischen dem Po-Goro und der Lagune am südlichen Deltarand. Durch den Sturm stieg der Wasserpegel schnell und drückte noch mehr Wasser durch die enge Schleuse zwischen beiden Gewässern, an der wir stehen. Es wurde etwas beängstigend. Müssen wir den schönen Stellplatz gleich wieder verlassen und tiefer ins Landesinnere, nach Goro, umziehen? Ein Auge hielten wir immer auf das Wasser gerichtet. Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne.
Das Po-Delta ist die Heimat von Nutrias. Eine Gruppe von ihnen lebt kurz vor Goro-Gorino an einen Wasserloch. Mal schwimmen sie, mal fressen sie das satte Grün am Wasserrand. Sie sind sehr scheu und lassen sich nur aus der Entfernung fotografieren. Die nahe an ihnen vorbeifahrenden Autos stören sie dagegen nicht. Nutrias haben wir jedoch überall gesehen, wo Wasser in der Nähe ist. Leider werden viele von ihnen hier im Park des Po-Delta überfahren.
Das Po-Delta wird stark landwirtschaftlich genutzt. Von Möhren, Rüben und Salat bis hin zu Haselnüssen wird auf dem fruchtbaren Boden manches geerntet. Jetzt im Herbst sind aber die meisten Felder umgepflügt. Deshalb sind kaum noch Vögel im Delta unterwegs, außer den üblichen vier Reiherarten (Grau-, Silber-, Seiden-, Kuh-), Möwen, Elstern und ein paar Singvögeln. Im Ebro-Delta ist da schon mehr los um diese Jahreszeit.
Goro und Gorino sind zwei ruhige Orte. Hier hat man Zeit, hier regiert die Natur. Nur in den zwei großen Häfen sieht man so etwas wie Geschäftigkeit. Allerdings fragt man sich, angesichts der unzähligen Fischerboote: Was fangen die? Soviel Fisch kann es im Po und der Lagune gar nicht geben. Viele Boote haben Ausrüstung zum Muschelfang dabei. Vor allem Miesmuscheln und Venusmuscheln werden in den Lagunen gezüchtet. Im Sommer werden Bootstouren zu den Muschelbänken angeboten.
Von unserem Stellplatz im Fischereihafen von Gorino sehen wir einen Leuchtturm. Leider ist dieser nur mit einem Boot zu erreichen. Wir fuhren über eine Behelfsbrücke kurz vor Gorino über den Po-Goro. Diese Behelfsbrücke kostet für PKWs 2,50€ Zoll pro Überfahrt und basiert auf mehreren Betonschiffen, die nebeneinander im Po-Goro liegen. Mit lautem Gerappel, die meisten Bohlen sind lose, erreichten wir das andere Ufer und folgten der Straße auf dem Damm, bis zu deren Ende. Den Rest bis zur Po-Mündung in die Adria muss man zu Fuß gehen, allerdings mit Hindernissen und nassen Füßen am Po-Ufer entlang. Auf den letzten 50m stapelt sich das Treibholz meterhoch, so dass das Ufer der Adria unerreichbar bleibt. Einen schönen Blick auf den Leuchtturm hat man trotzdem.
Comacchio ist die heimliche Hauptstadt des Po-Deltas und war im Mittelalter ein erfolgreicher Handelshafen. Die großen Erwerbszweige sind hier das Salz und der Aal. Die Salzproduktion begann schon in der Antike, als die Etrusker die Stadt Spina gründeten, deren Reste in der Nähe von Comacchio ausgegraben wurden. Schon Spina war ein wichtiger Handelshafen. Die Etrusker, an denen man nicht vorbeikommt, wenn es um Italien geht, legten die Salinen an, die über die Jahrhunderte bis 1985 genutzt wurden. Dann wurde die Produktion eingestellt und die Natur bekam ihr Recht zurück. Nur wenige kleine Salzbauern gibt es noch. Flamingos sollen hier brüten, aber im Moment sind sie nicht da.
Die Lagunen von Comacchio sind ebenso Lebensraum der Aale, wenn sie aus der Sargassosee, östlich von Florida im Atlantik, kommen. In der Zeit von Oktober bis Dezember ziehen die Aale wieder dorthin zurück. Seit Jahrhunderten werden die Aale dann mit Hilfe von Schrankensystemen aus Holz und Weidenruten in den Kanälen gefangen. Es gab viele dieser Schrankensysteme im Delta. Die dazugehörigen Bauwerke, Wohn- und Arbeitsraum der Fischer, sind heute meist nur noch Ruinen. Aale gibt es kaum noch, deshalb ging auch dieser Erwerbszweig auf ein Minimum zurück. In der Manifattura dei Marinati, der Fischfabrik, auch Haus des Aales genannt, kann man sich auf die Spuren der Aalverarbeitung begeben. Von Oktober bis Dezember, wenn die Aale gefangen werden, ist das Museum wieder als Fabrik tätig. Dann werden die Aale angeliefert, der Kopf entfernt, und der Rest wird auf lange Spieße gefädelt. Diese werden vor große Feuer gehängt, es gibt zwölf Kamine, bis sie gut gebraten sind. Dann schichtet man sie in Fässer, die zum Abschluss mit Marinade aufgefüllt werden. Für 3,-€ Eintritt ist man dann hautnah dabei. Wir jedoch waren wohl etwas zu früh, denn die Kamine blieben kalt und die Spieße leer. Mehrere Filme erklären dann die Funktionsweise der Fischfabrik. Es wurde sogar ein Film mit Sophia Loren gedreht, der sich mit dem Aalfang und der Fischfabrik beschäftigt. Anfang Oktober findet jedes Jahr das „Aalfestival“ statt. Deshalb kamen wir mit der Erwartung nach Comacchio, dass wir überall an Ständen oder so Aal probieren könnten. Stattdessen wird der Aal für teures Geld als Konserve in Spezialitätenläden oder als teure Gerichte in den Restaurants und Trattorias angeboten.
Die Lagunenstadt Comacchio ist trotzdem sehr sehenswert und eine echte Konkurrenz zu Venedig. Hier ist es zu dieser Jahreszeit sehr ruhig. In aller Ruhe und Gemütlichkeit lässt es sich an den vielen schönen Kanälen und bunten Häusern entlang spazieren. Ziegelbrücken ermöglichen den Seitenwechsel. An fast jeder Ecke erhebt sich eine Kirche. Im Stadtzentrum stehen ein Uhrturm und der Weizenspeicher.
Das imposanteste Bauwerk ist die Trepponti-Brücke, die 1630 als monumentales Seetor gebaut wurde. Über mehrere Treppen kann die Trepponti-Brücke passiert werden. Gleich nebenan befindet sich der alte Fischmarkt mit der Fischhalle. Comacchio ist unserer Meinung nach ein Muss, wenn man das Po-Delta besucht.
Noch eines muss ich erwähnen. Vollkommen überrascht waren wir, als wir die großen Fischernetze bei Comacchio sahen. Es ist das gleiche Prinzip, wie die chinesischen Netze in Kerala (Indien). Nur das diese dort mit einem Hebel und sechs bis acht Mann bedient werden, und hier in Comacchio mit Hilfe eines Motors funktionieren. Die großen viereckigen Netze sind stationär und werden in das Wasser abgesenkt. Nach kurzer Zeit zieht man sie hoch und der Fang, meist nur kleine Fische, die frittiert werden, werden mit einem Kescher herausgefischt. Dabei müssen die Fischer schnell sein, denn Heerscharen von kleinen Krebsen, die mit dem Netz nach oben kommen, stürzen sich ebenfalls auf die Fische. Natürlich wollen auch die Möwen ihren Anteil.
Der zweite Stellplatz im Po-Delta, den wir nutzten, war der naturbelassene Platz „Area Sosta Camper“, direkt bei den Lagunen von Comacchio, knapp südlich der Stadt. Die breiten Strände von Porto Garibaldi, Estensi und Spina sind auch gleich in der Nähe. Dort ist inzwischen auch alles in einen Dornröschenschlaf gefallen. Nur ein paar in dicke Jacken gehüllt Spaziergänger bevölkern jetzt den Strand. Die meisten Kneipen haben bis zum Frühjahr geschlossen.